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29 Juni 2013

Skalierbare Basisdemokratie mit Hilfe der Geburts und Todeskette

Der Vorteil der Basisdemokratie ist, das jedes Individuum einen Antrag einbringen kann. Das ist ein Vorteil, weil auf diese Weise das Wissen aller Menschen für die Administration der Gruppe zu verfügen steht. Aber die Sache hat einen elementaren Nachteil: Jedes Mitglied einer Gruppe muss sich mit allem möglichem beschäftigen, weswegen der Arbeitsaufwand jedgwedige Grenze überschreitet. Wenn dann noch - was natürlich wichtig ist weil nicht jeder alles wissen kann - über jede Entscheidung eine Aussprache stattfinden soll, dann wird es vollends pathologisch. Jeder der was Beiträgt nimmt die Zeit aller anderen in Anspruch, welche zuhören müssen. Demzufolge muss sich jeder extrem Kurz fassen, oder es muss nach Zufallsprinzipien ausgewählt werden, wer das Recht erhält sein Argument vorzutragen. Das Ergebnis kann man auf dem Piratenparteitagen betrachten, mit Redezeiten von mitunter nur 30 Sekunden.

Aber auch bei der Onlinevariante Liquid Feedback & Co ist das Problem nicht besser. Dort hat man "nur" den Vorteil, das der Zeitaufwand asynchron aufgebracht werden kann, und nicht die ganze Gruppe sich kostenintensiv an einem Ort versammeln muss. Dem Zeitvorteil steht die Frage der Geheimen Abstimmung entgegen, die Internet eine etwas andere Qualität hat als mit Papier, denn man muss einen Kompromiss manchen. Entweder können nur ausgewählte Kontrolleure nachweisen das eine Wahl OK wahr (was bei einer offline Wahl auch meist der Fall ist, weil nur in den seltensten Fällen alle alle Urnen immer im Blick behalten) oder aber die Nachweisfreiheit der Wahl lässt sich nur bis zum schließen der Urnen aufrecht erhalten. Außerdem hat man bei der Onlinewahl das Problem, das man die Unbeobachtetheit der Wähler, offline durch die Wahlkabine implementiert, nicht zentral sicherstellen kann. Da aber das Zeitproblem bestechen bleibt wurde im Zusammenhang mit Liquid Feedback sehr oft von einer Zeitelite gesprochen.

Ich habe Liquid Feedback egal ob in der Bundesebene oder auf Landesebene immer so Wahrgenommen, das es am Anfang hervorragend funktioniert hat, und je mehr Teilnehmer teilgenommen haben umso weniger effektiv hat das System funktioniert. Einfach weil in immer größerer Teil sich nicht mit allen Befasst hatte und auch nicht Delegiert hat. Das hatte dann zur Folge, das selbst für Kernthemen für welche es einschlägige Grundsatzbeschlüsse gibt keine Ergebnisse mehr darstellbar waren, was dann wiederum die Teilnahme bis auf nahe null fallen lies.

Wie kommt man aus dem Dilemma heraus? Nun ich habe mir dazu mal den Willensbildungsprozess in Sozialen Medien angesehen. Dort kann jeder alles einstellen - sofern das Anliegen selbst nicht gegen geltendes Recht verstößt. Dann hat jeder Mensch in diesen Medien eine kleine Liste von Followern, Freinds oder Menschen in Kreisen welchen den Vorschlag zu lesen bekommen. Das kann dann die unterschiedlichsten Reaktionen hervorrufen: Wenn jemand den Gedanken gut findet, dann wird er ihn einfach an seine Umgebung weitergeben, und diese Idee verbreitet sich im Netz. Oder aber er hat etwas Anzumerken. In den meisten Systemen kann er einen Kommentar verfassen und diesen an die Ursprüngliche Nachricht anheften. Eine Idee aus dem Verkehr zu ziehen ist definitiv nicht möglich, sehr zum Verdruss der Anhänger von Super- und Hyperinjunktions. Das sind Gerichtsverfügungen im Britischen Presserecht, mit denen die Verbreitung bestimmter Tatsachen gestoppt werden können soll.

Will man einen Bestimmten Beschluss verhindern, so geht das im Liquid Feedback nur, indem man eine bessere Vorlage zu einem Thema erstellt, und damit dann das eigene Anliegen durchdrückt. Das ist ähnlich dem Verhalten eines Sozialem Netz, wo ich mit einer besseren Vorlage die Vorgängerversionen zum Aussterben bringe. Dieses Aussterben von Ideen das hat mich zu einem völlig neuen Beschlussfindungsansatz gebracht, bei dem Diskussion und Abstimmung parallel anstatt nacheinander Ablaufen.

Grundsätzlich gilt weiterhin, ein Grundsatzbeschluss wird gefasst, wenn 2/3 der Teilnehmer einer Gruppe diesem Zustimmen. Dann ist eine Vorlage angenommen und das Verfahren terminiert, alle konkurrierenden Vorlagen verfallen. Wie kann man die parallele Diskussion und Abstimmung organisieren? Zunächst gibt es eine Themenverzeichnis in dem jeder eine Initiativvorlage erstellen kann. Diese Initiativvorlage kann jeder Teilnehmer einen Kommentar hinzufügen, die in Sinnvollerweise wie bei Wikiarguments übersichtlich Organisiert werden.

Die Abstimmung erfolgt aber anderes. Die Vorlage wird nur einer nach einem Zufallsalgorithmus ausgewählten Untergruppe von Teilnehmern vorgelegt wird, wobei sich die Größe und Zusammensetzung nach statistischen Vorgaben berechnet wird. Die ausgewählten Piraten haben nun, zusätzlich zur Option einen konkurrierende Initiative zu starten die jeder hat, die folgen Auswahl:

  1. Vertagung: Sie wollen erst später über die Vorlage entscheiden. Diese Auswahl verwendet das System auch, wenn innerhalb einer vergebenen Frist keine Antwort gegeben wird. Diese Option kann zum Beispiel sinnvoll sein, wenn ein Teilnehmer für das Thema erheblich Zeit für eine Einarbeitung investieren müsste, diese aber nur leisten will, wenn die Vorlage Aussicht auf Annahme hat.
  2. Enthaltung: Dem Teilnehmer ist es egal, ob die Vorlage angenommen wird oder nicht. Wie im Fall 1. wird bei diesem Fall über den Zufallsalgorithmus ein Ersatzteilnehmer ausgewählt, der über die Frage abstimmen soll.
  3. Zustimmung: wird eine Vorlage von einem Teilnehmer angenommen, so wird zunächst nachgesehen, ob 2/3 (oder 50% der Teilnehmer bei Mehrheitsentscheidungen) der Teilnehmer zugestimmt haben. Ist das der Fall Terminiert das Verfahren, und die Vorlage ist Beschluss. Im anderen Fall werden mehr als ein zusätzlicher Teilnehmer ausgewählt, welche über die Vorlage entscheiden sollen. Dieser Replikationsfaktor ist eine sinnvollerweise eine Funktion der Anzahl der Involvierten Teilnehmer. So können dies am Anfang zum Beispiel 10 neue Teilnehmer pro positiven Votum sein, kann diese Zahl gegen Ende bis auf 2 Fallen.
  4. Ablehnung: Lent ein Teilnehmer die Vorlage ab, so werden keine neuen Teilnehmer mehr mit dieser Vorlage behelligt. Das entspricht dem Aussortierungsverfahren von nicht Mehrheitsfähigen Ideen in Sozialen Netzen. Wenn zu einer Vorlage keine Voting Aufforderungen mehr offen sind, dann können keine Weitere Zustimmungen mehr reinkommen. Aus diesem Fall terminiert das Verfahren an dieser Stelle mit einer Ablehnung der Vorlage.

Vorteile des Verfahren, das massiv Arbeitszeit eingespart wird. Wenn zum Beispiel eine Vorlage eine einfache Mehrheit braucht und 90% der Teilnehmer diese Initiative unterstützen, so müssen sich im statistischen Mittel nur 55% der Teilnehmer mit der Vorlage befassen, bis diese Angenommen ist.

Noch dramatischer ist der Vorteil bei der Ablehnung einer Vorlage. Zwar ist es theoretisch möglich, das eine Vorlage irrtümlich zufälligerweise abgelehnt wird, weil sie einfach zufällig an eine Minderheit von Teilnehmer gerät, welche sie ablehnen. Allerdings lässt sich das Ausmaß dieses unerwünschten Effekts hervorragen Kontrollieren durch Anwendung der Theorie der Geburts- und Todeskette. Damit lässt sich die Größe des notwendigen Start Kollektives berechnen, damit ein Irrtümliches Aussterben unwahrscheinlicher ist als eine Vorgegebene Grenze.

Um die Reduktion des Arbeitsaufwands weiter zu vergrößern, kann man einen Kompetenzfaktor einführen. Bei angenommenen Vorlagen erhält der Initiator Bonuspunkte welche die vorgegebene Annahmewahrscheinlichkeit vergößern, bei Abgelehnten Vorlagen gibt es Maluspunkte welche die vorgegebene Annahmewahrscheinlichkeit verringert und damit auch die Zahl der bei der Vorstellung einer Initiative involvierten Teilnehmer. Dieses Verfahren simuliert des Following / Unfollowing verhalten in sozialen Netzwerken. Leute mit Interessanten Ideen folgt man viel lieber als den unvermeidlichen Trollen welche ihr Unwesen im Internet treiben.

Fazit: Mit so einem Verfahren, das man in einem ersten Durchgang als ein solches mit offenen Votings implementieren würde, kann das Grundproblem der Basisdemokratie, die Skalierungsunfähigkeit, gelöst werden. Internet alleine ist dafür leider nicht ausreichend.

In einem Zweiten Schritt kann dieses dann auch analog zu den Klassischen Abstimmungen zu einem Geheimen Abstimmungsverfahren weiterentwickelt werden. Das ist sinnvoll, weil dieses mit deutlich mehr Programmieraufwand verbunden ist.

Leute die für bestimmte Positionen in der Partei stehen, müssen also darauf achten, das sie ihre Argumente frühzeitig in der Diskussion eingehen. Das können sie zum Beispiel mit einem externen Benachrichtigungsservice erreichen der eine E-Mail schickt wenn er eine Webseite findet die bestimmte Kriterien erfüllt. Alternativ kann aber auch das System zusätzlich zu den aus Demokratietechnisch nötigen zufälligen Startgruppe auch solche Mitglieder eingebunden werden, welche schon vergleichbare Texte im System oder eingetragenen Sozialen Medien Diensten geschrieben haben. Das hätte den Vorteil, das immer ein gewisser Anteil von Mitgliedern welche einem Thema nachstehen von Anfang an auch die Diskussion beleben, weil ja Diskussion und Abstimmung parallel stattfinden. Vor allem würden nicht nur Leute in der Diskussion Aufeinandertreffen, für die das Thema so wichtig ist, das sie eine Benachrichtigung konfigurieren. Das dürften nicht gut sein für die Diskussionskultur. Die Parallelität von Diskussion und Abstimmung erfordert die Möglichkeit des Revotings, weil ja Argumentationen hinzukommen können. Wird beim Revoting die nötige Mehrheit erreicht, terminiert das Verfahren. Ansonsten passiert nichts.


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