24 Februar 2013

Quo Vadis Piratenpartei? Politik 1.1 versus Politik 2.0

Das war eine eher miese Woche für die Piratenpartei. Erst tritt der Landesvorsitzende von Baden Württemberg Lars Pallasc zurück und aus der Partei aus. Grund dafür ist, das irgendwelche Hohlköpfe die vermutlich aus der Piratenpartei kommen seine Frau und seine Kinder bedroht haben. Dann tritt der Brandenburger Landesparteichef Michael Hensel zurück, wegen Arbeitsüberlastung. Hinzu kommen die Dauerquerelen um den politischen Geschäftsführer der Piratenpartei Johannes Ponader.

Worum geht es bei diesen Streitigkeiten? Es geht nicht so sehr um Inhaltliche Frage wie "Arbeitnehmerflügel" versus "Unternehmerflügel" bei den Christdemokraten oder "Realos" versus "Fundis" bei den Grünen. Eine solche Diskussion gab es 2009, in der es darum ging, ob man die Kernthemen rund um das Internet stark priorisieren will, oder ob man parteiintern einen gesellschaftlichen Gesamtkonsens herleiten will - und damit das Fundament für das Prädikat Administrationsfähig legt. Durch den Zustrom neuer Mitglieder in die Piratenpartei sind auch die Leute in die Partei gekommen, die einen weit gefächerten Bereich gesellschaftlicher Interessen in der Partei vertreten.

Aber der Zuwachs an Mitglieder hat auch seine Schattenseiten. Es kommen wegen der offenen Strukturen und der basisdemokratischen Ausrichtung auch viele Leute in die Partei, die eine neue Partei als Option verstehen, ein bislang vernachlässigtes Themengebiet in den Focus des politischen Interesse zu rücken.



Diese Interessen sind alle diskussionsrelevant, keine Frage. Aber das alles ist Passiert, bevor wir unsere Satzung und die Software für den breiten Einsatz basis demokratischer Prozesse fertig wurden. Das Problem mit der Basisdemokratie ist der, das wenn man die normale Vorgehensweise der alten demokratische Parteien jeder über alles nachdenken muss - auch über das, was gar keine Chance hat Parteikonsens zu werden. Dieses führt bei Leuten in Führungspositionen zu chronischer Arbeitsüberlastung, um auch nur auf dem Laufenden zu bleiben, was die Parteibasis diskutiert, um relevante Entwicklungen aufgreifen zu können und nach außen in die Presse zu tragen.


Bildquelle: Wikipedia

Ich frage mich oft, was Marina Weißband so erfolgreich verkauft hat. Waren es die Themen der Piratenpartei? Zensur freies Internet? Eine neues Urheberrecht? Bildung für Alle? Gesellschaftliche Teilhabe? Demokratische Mitwirkung? Einer neue freien Familienpolitik? Zugang zu Staatlichen Daten? und vieles andere mehr. War es einfach nur die Tatsache endlich eine Option zu haben, den existierenden Partien eine rein würgen zu können, ohne sich die Finger an der braunen scheiße beschmutzen zu müssen? Oder war es doch eher die Aussicht auf eine neue überlegenen Form der politischen Willensbildung welche die Erfolge der Piratenpartei ausgemacht hat?

Ich persönlich denke, das es das Letztgenannte war. Warum? Wir Piraten waren im April 2012 bei 13%. Damit waren wir vor den Grünen die drittgrößte Politische Kraft. Das sind Bereiche, wo eine mögliche Regierungsbeteiligung für das Funktionieren des demokratischen Staats Voraussetzung ist. Unsere Themen an sich wichtig, das wissen wir Piraten. Aber viele Menschen entscheiden eher Emotional. Hinzu kommt, das Themenbasiserte Parteipräferenzen nicht so schnell wechseln, so das weder der Rasante aufstieg noch der Absturz zu erklären sind. Protest ist da schon ein adäquateres Erklärungsmodell. Nur ist die Politik der Altparteien und die Zufriedenheit der Bürger damit so viel besser geworden, das er den Absturz der Piratenpartei erklären kann? Wohl kaum! Es bleibt die nur die Dritte Variante.

Fast der Bürger der einen Zugang zum Internet hat kennt die Wikipedia. Das ist kein Wunder, die Wikipedia wird von Suchmaschinen geliebt. Kein wunder, Sie messen, das die Leute bei vielen Schlagworten einen Klick zur Wikipedia machen und dann keinen weiteren Link nutzen. Daraus schießt die Suchmaschine, das die Wikipedia eine veritables Ergebnis geliefert hat. Flankiert wird diese positive Erfahrung mit dem in der Kollaborationsplattform Wikimedia erstellten Werk der Wikipedia kommt die Tatsache, das die Wikipedia alle anderen Konkurrenten wie die legendäre Brockhaus Enzyklopädie, auch die aus dem Offlinebereich, vom Markt geblasen hat.

Eine weitere Quelle der positiven Erfahrung mit Kollaborationsplattform im Internet ist Freie Software. Das Firefox Projekt dürfte das bekannteste sein, aber auch Thunderbird, LibreOffice und Ubuntu Linux dürften ein Positives Bild von Kollaborationsplattformen im Internet in der Öffentlichkeit Zeichnen. All diese Projekte habe gemeinsam, das sie über spezielle Software verfügen, mit denen die Kollaboration behandelt wird. Im Fall der Wikipedia und verwandter Produkte ist das die Wikimidia Software, im Fall von Software sind es Packte wie der GIT-HUP welche die Beiträge der viele Autoren zusammenführt.

Aus diesem Gund gehe ich davon aus, das die elegante und charmante Arbeit von Marina Weisband in weiten Teilen der Bevölkerung den Eindruck erweckt hat, die Piratenpartei hätte so ein System für die Politik bereits erstellt und müsse sich jetzt nur noch um die verschiedenen Politikfelder kümmern. Aber dem war und ist leider nicht so. Außer dem Liquid Feedback gibt es keine weiteren Softwareentwicklungen innerhalb der Piratenpartei. Es werden vielmehr Softwareprodukte anderer Projekte genutzt und bestmöglich ausgenutzt, wie zum Beispiel die besagte Wikimedia Anwendung der Wikipedia. Aber nicht einmal die OpenID software als Pirate ID, welche es erlauben würde alternative oder erweiterte System zu Liquid Feedback zu implementieren hat die Testphase verlassen. Von einer Satzungsmäßigen Implementierung als ständige Mitgliederversammlung gar nicht zu reden.

Warum ist das so schlimm? Weil es zu vielen Problemen gekommen ist, welche den Menschen klar gemacht haben, das die Piratenpartei eben doch nicht so weit ist wie sie dachten. Das fängt mit der Tatsache an, das wir nicht in der Lage sind, binnen einer sehr kurzen Zeit in der Lage sind, eine demokratisch Legitimierte Parteimeinung zu erstellen. Ich habe dazu Vorschläge gemacht, die aber in der Basis keine Mehrheit gefunden haben.

Aber auch in Kleinigkeiten passiert zu Wenig. So habe ich vorgeschlagen, das es eine automatische Einbindung von Anregungen, speziell solche die Sprachliche Verbesserungen bringen sollen, automatisch per diff3 eingebunden werden. Das wurde knapp Angenommen, passiert ist aber nichts. Schon mein Vorschlag, auch Bilder, zum Beispiel für Grafische Darstellungen von Statistiken, darzustellen viel deutlich durch. Gar nicht zu reden, von anderen wichtigen Vorschlägen wie einem Delegiertenfinder im LQFB mit dem man Personen finden kann, welcher der eigenen Meinung am ehesten entsprechen. Solcherlei Vorschläge wurden alle schon durch das Quorum abgeblockt.

Das blieb aber nicht ohen Folgen. Durch das Fehlen einer solcher Funktion Konzentrieren sich die Delegation auf diejenigen Piraten, die in Presse und Fernsehen oder über ihren Blog landläufig bekannt sind. Die führte schlussendlich zu einer Situation in im Liquid Feedback, die vergleichbar ist mit der Situation in den anderen Parteien. Vergleichbare Trends kann man auch an anderen Stellen beobachten. So ist der erste Platz der Hessischen Landesliste an einem Piraten gegangen, der keinen Twitter Account hat. Und das, wo die Online orientierten Piraten alle eine Twitter Account haben. Twitter gehört, neben Facebook, zu den Motoren des politischen Umbruch in den Afrikanischen Ländern. Der Grund dafür liegt in der Sachlage, das in diesen Systemen Ideen eine Art Lebensraum finden, in dem sie sich den Gesetzen der Evolution folgend Entwickeln können.

Und da sind wir bei einem weitere entscheidenden Problem. In einer Basisdemokratie in der jedermann ein Initiativrecht hat, kann man nicht mehr mit normalen Abstimmungen arbeiten. Selbst wenn jeder Deutsche nur einmal im Leben eine Initiative einbringen darf, dann wären das 80.000.000 Initiativen. Bei 5 Minuten Bedenkzeit pro Initiative, und das ist wenig, bräuchte man satte 761 Jahre. Folglich braucht man ein Abstimmungssystem, bei dem eine Initiative erst mal einer geeignete Auswahl von Parteimitgliedern vorgelegt wird. Findet eine Initiative eine zustimmendes Echo, so muss diese Initiative sukzessive weiter verbreitet werden, bis eine demokratische Legitimation entsteht. Da selbst Abgeordneter ein Fulltimejob ist und viele Menschen sich im andere Dinge wie zum Beispiel Familie kümmern wollen, ist auch zu überlegen, ob nicht auch eine hohe Zustimmung eines zufälligen Teils der Stimmberechtigten als demokratische Legitimation gewertet werden kann.

Eine weitere Verbesserung ist in der Inhaltsorientierten Zuordnung von Nachrichten. Erfolgreiche Netzwerke wie Facebook und Twitter machen das, in dem sie Ihren Teilnehmen andere Teilnehmer zur Kommunikation vorschlagen, die Inhaltlich ähnliches Kommunizieren. Genau so etwas brauchen wir auch für die Piraten. Neue Liquid Feedback Initiativen, Ergebnisse von Arbeitspads und Posts von Piratenblogs aber auch Bekanntmachungen von anderen Fraktionen oder der EU gehören in ein System eingespeist, das diese Informationen vorzugsweise an diejenigen weiterleitet, welche schon in einem ähnlichen Zusammenhang was gemacht haben. Warum ist das eine Verbesserung? Auf dem letzten Thematischen Parteitag der hessischen Piratenpartei in Butzbach wurde ein Antrag zum Tierschutz eingebracht, der viele Gute Aspekte hatte. Entsprechend viel das Meinungsbild zur Eröffnung der Debatte mit über 80% extrem positiv. Aber die Antragsersteller hatten in den Antrag rein geschrieben, das Primaten für Forschungszwecken gar nicht mehr herangezogen werden dürfen. Aus diesem Grund musste ich und einige wenige andere Piraten heftig intervenieren, weil zum Beispiel die experimentelle Erforschung der HIV Viren nur so möglich ist. Die Argumente haben gegriffen, der Antrag wurde mit über 80% abgelehnt. Wäre der Antrag schon ein der Entstehungsphase auch jemanden zur Kenntnis gelangt der sich mit der Problematik vertraut ist, hätte so ein Fehler vermieden werden können. Statt dessen muss der Antrag nun ein halbes Jahr auf die nächste Gelegenheit zur Verabschiedung warten - obschon klar ist, das die Zustimmung ohne diesen einen Satz über Primaten überwältigenden ist. Das ist alles nicht das was sich viele unter Politik 2.0 vorstellen.

Unsere Partei zerfällt zunehmend in zwei Teile. Diejenigen die das Internet als Kommunikationsmittel nutzen und Politik aber weitestgehend in herkömmlicher Art und Weiße durch physische Präsens und Reallife treffen machen wollen. Ich nennen diese Piraten die Politik 1.1 Piraten. Auf der anderen Seite sind diejenigen, die wie ich Politik virtualisieren wollen, um Persönliches das uns im Moment so sehr schadet aus der Politik raus zuhalten effizienter zu werden und darüber hinaus generell weniger CO2 in die Atmosphäre zu pusten. Klar ist, das beide Seite nicht ohne die andere weiterkommt. Die 1.1 Piraten werden gebraucht, um die nötige Reichweite zu den Bürgen zu erreichen und Probleme der Bürger in die Partei zu tragen. Aber die 2.0 Piraten werden ebenso dringend gebraucht, um der Partei diejenigen Performance zugeben, von der der Bürger bereits angenommen hat, das Sie bereits vorliegt.

Ich habe immer wieder verschiedene Initiativen ergriffen, um Politik 2.0 Themen demokratisch zu Diskutieren.
Denn ich fände es am richtigsten, das Softwarefunktionen von Politik 2.0 demokratisch diskutiert und beschlossen werden, und dann entsprechend Umgesetzt werden. Aber das funktioniert so einfach nicht. Ob das daran liegt, das Politik 1.1 Piraten um ihren Einfluss fürchten? Oder ist es ein genereller Vorbehalt gegen politische Veränderungen? Wenn es so nicht möglich ist, Politik 2.0 Veränderungen durch zubringen, wie könnte man es sonst angehen? In einer Untergruppe der Piraten mit extrem guten Mathematik Kenntnissen, deren Beschlüsse sich auf die Satzung der Gruppe als Verein oder Gesellschaft Bürgerlichen Rechts und die Art und weiße der Softwareentwicklung beschränkt? Hier muss eine Lösung gefunden werden.

Nachtrag 24.02: In Österreich ist man schon so weit, das man ein verbindliches Liquid Feedback eingeführt hat. Möglich war das, weil das in Deutschland entwickelte Tool schon in einer frühen Phase der Piratenpartei.at zur Verfügung stand. Die Erfahrungen sind gut, die Akzeptanz auch. Man sollte die Zahlen mit dem ersten halben Jahr vergleichen, als in Deutschland die Illusion bestand, das die Initiativen aus dem LQFB verbindlich anschließend von Parteitag bearbeitet werden.

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